Wenige Bauwerke waren so umstritten wie die Moschee in Erfurt. Nun eröffnet die erste repräsentative Moschee in Ostdeutschland. Ist der Islam im Osten angekommen? Eine Webstory des Mediendienst Integration Carsten Wolf / Lennart Kreuzfeld / Lina Steiner Fotos: Thomas Lobenwein
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Die Moschee in Erfurt ist die erste Moschee mit Kuppel und Minarett in Ostdeutschland, außerhalb Berlins. Fast zehn Jahre hat es gedauert bis sie eröffnen konnte. Es gab Proteste, Angriffe auf die Baustelle und den Imam. Der Bau zeigt auch, wie schwer es für Muslime im Osten immer noch ist.
Die Zahl islamischer Gemeinden ist in den letzten Jahren gestiegen. Für diese Mediendienst-Recherche haben wir zahlreiche islamische Vereine, Gebetsräume und Moscheen angefragt. 30 waren bereit, auf dieser Karte zu erscheinen.
Nein. Sie enthält nur eine Auswahl an islamischen Vereinen und Moscheen, die bereit waren, auf der Karte zu erscheinen. Der Mediendienst hat aus öffentlich zugänglichen Quellen rund 60 mögliche Kontakte recherchiert und sie per Mail oder Telefon kontaktiert. Von vielen angesprochenen Gemeinden kam keine Antwort. Einige wollten aus Sicherheitsbedenken nicht erscheinen.
Lange Zeit waren Muslime in Ostdeutschland kaum sichtbar. Aber das hat sich in den letzten Jahren geändert. Es sind neue Gebetsräume entstanden, viele Vereine und die erste repräsentative Moschee.
Waren es Anfang der Neunzigerjahre noch sehr wenige, leben inzwischen laut einer BAMF-Schätzung etwa 190.000 bis 200.000 Muslime in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin). Das sind etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung. Am wenigsten sind es in Sachsen, mit einem Anteil von etwa 0,7 bis 0,8 Prozent an der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Westdeutschland sind es im Schnitt 10 Prozent. Gemessen an der Gesamtzahl der Muslime leben nur etwa 3,5 Prozent aller Muslime in Deutschland im Osten.
Etwa 60 islamische Gemeinden oder Gebetsräume gibt es in Ostdeutschland. So das Ergebnis unserer Recherche, für die wir öffentliche Quellen ausgewertet und mögliche Gemeinden verifiziert haben. In ganz Deutschland sind es rund 2.600 Moscheegemeinden. Der Anteil der Gemeinden in Ostdeutschland liegt also bei etwa zwei Prozent.
Die Zahl von 60 Gemeinden ist nur ein Schätzwert, der eher zu niedrig sein dürfte. Ostdeutsche Muslime beten teils in Räumen, die sie mit anderen Projekten teilen, zum Beispiel in Gemeinschaftsunterkünften. Erst wenn sie einen eigenen Raum anmieten wollen, gründen sie einen öffentlich sichtbaren Verein, so eine Studie der Robert Bosch Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Viele Gemeinden sind erst nach dem "Flüchtlingssommer" 2015 entstanden.
Vor zehn Jahren begannen die Planungen für die erste sichtbare Moschee in Erfurt. Mit dabei war der Sprecher der Gemeinde, Suleman Malik. Er ist Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinschaft, einer islamischen Gemeinschaft, von der auch das Geld für den Neubau kommt.
Von Anfang an wurde gegen die Moschee protestiert. Zur Zeit der großen Pegida-Demos in Dresden gab es auch in Erfurt Demos gegen und Angriffe auf die islamische Gemeinde. Schweineköpfe wurden auf das Baugelände geworfen. Nebenan errichteten Rechtsextreme Holzkreuze. Chronik der Proteste und Angriffe
Rund um die Anti-Moschee-Proteste hätten sich verschiedene Gruppen aus dem rechten und rechtsextremen Umfeld organisiert, sagt Felix Steiner. Für die Beratungsstelle Mobit beobachtet er die rechte Szene in Thüringen seit Jahren.
Trotz der Widerstände konnte die Moschee 2024 fertig gebaut werden. Zur Gemeinde gehören etwa 100 Mitglieder. Für Gebete ist die Moschee bereits geöffnet. Im Jahr 2025 soll sie vom religiösen Oberhaupt der Ahmadiyyah geweiht werden.
Die Anfänge muslimischen Lebens in Ostdeutschland reichen bis in die DDR-Zeit zurück.
Muslime in der DDR waren zumeist Vertragsarbeiter*innen aus Algerien oder internationale Studierende aus Ländern wie Syrien, dem Irak, Libyen oder dem Libanon. Insgesamt gab es nur sehr wenige Muslime in der DDR.
Den Studierenden überließ die DDR gelegentlich kleine Räume, in denen sie beten konnten. Die Gründung von Vereinen – so auch Moscheevereinen – war Ausländern in der DDR jedoch untersagt. Daher praktizierten Muslim*innen ihre Religion fast ausschließlich im Privaten. Einer der wenigen Muslime in Erfurt war Maolod. Er arbeitete als Vertragsarbeiter bei der Erfurter Wohnungsbaugenossenschaft. Nach der Wende seien von den mehr als 100 Algeriern nur wenige geblieben.
Nach der Wende sind nur fünf Algerier hier in Erfurt geblieben. Wir kannten uns alle. Maolod, Erfurter aus Algerien
Die erste Moschee als Gebetsraum auf deutschem Boden entstand 1915 in Wünsdorf bei Berlin. Sie sollte osmanischen Gefangenen als Gebetsstätte dienen und dazu "aktive Propaganda unter den Kriegsgefangenen" zu betreiben. An mehreren Orten in Deutschland gab es vorher schon "Zier-Moscheen", die zwar aussahen wie Moscheen, aber nicht für religiöse Zwecke gebaut wurden, zum Beispiel das Pumpenhaus in Potsdam oder die Zigarettenfabrik in Dresden.
Damals schmückten Adlige und Kaufleute sich mit dem "maurischen" Stil. Zur Jahrhundertwende war die Faszination für den "Orient" ein Trend in ganz Europa. Das Orient-Bild schwankte zwischen Faszination und Verachtung.
Nach der Wiedervereinigung entstanden die ersten Moscheegemeinden, gegründet von ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter*innen, internationalen Student*innen sowie Geflüchteten.
Die Gemeinden lagen meist in Uni-Städten. Die Gemeinden blieben klein und vereinzelt.
Während des "Flüchtlingssommers" 2015 kamen viele muslimische Geflüchtete nach Deutschland. Sie wurden nach einem festen Schlüssel auch auf ostdeutsche Bundesländer verteilt.
Die Zahl der Muslime im Osten stieg an. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Muslime in Deutschland stieg von 1,6 Prozent auf 3,5 Prozent.
Die Gemeinden seien "bunter" als die im Westen, sagt Islamforscherin Ayşe Almıla Akca von der Universität Innsbruck. In den kleinen Gemeinden kämen Musliminnen und Muslime aus verschiedenen Herkunftsländern zusammen während sie im Westen oft nach Herkunftsland getrennt seien.
Im Osten waren sie für viele Geflüchtete die erste Anlaufstelle. Ein Beispiel ist der "Deutsch-Arabisch-Orientalische Verein" in Erfurt. Der vorwiegend schiitische Gebetsverein wurde 2011 gegründet. Seine Räume liegen am Stadtrand in einem Gewerbegebiet.
"In dieser Zeit mussten Musliminnen und Muslime im Osten viel selbst organisieren. Viele haben mir erzählt, dass das neu für sie war. Sie mussten Räume anmieten, das selbst bezahlen. Es gab keinen Staat oder Gemeinde, die das für sie gemacht hätte. Sozusagen Islam in Selbstorganisation", so Akca.
Im Westen hätten sich in den letzten 60 Jahren muslimische Strukturen entwickelt. "Das steht im Osten noch ganz am Anfang", sagt Akca.
"Die Leute sind alle ehrenamtlich engagiert." Es gebe kaum hauptamtliche Beschäftigte und auch kaum hauptamtliche Imame in ostdeutschen Gemeinden, so Akca.
"Die Finanzierung vieler junger Gemeinden im Osten ist prekär", sagt Akca.
Für die "religiöse Grundversorgung" oder für Moscheen gibt es keine staatlichen Gelder. Möglich ist das nur für kulturelle oder soziale Projekte, zum Beispiel für den interreligiösen Dialog, religiöse Feste oder die Beratung von Geflüchteten, so die Innenministerien ostdeutscher Länder auf Anfrage des Mediendienstes.
Auch andere Finanzierungsquellen fehlen, weil die allermeisten Gemeinden im Osten keinem islamischen Dachverband angehören.
Viele Muslime in Ost- wie Westdeutschland erleben Anfeindungen und Rassismus.
Es gibt Hinweise darauf, dass Muslimfeindlichkeit im Osten stärker verbreitet ist. Öffentlichkeitswirksam waren die Proteste gegen eine vermeintliche „Islamisierung“ oder Moscheebauprojekte, wie beispielsweise in Dresden oder Erfurt.
der Befragten im Osten stimmen der Aussage zu, Muslimen sollte man die Zuwanderung nach Deutschland verbieten
"Muslimfeindschaft" ist das am weitesten verbreitete Ressentiment in Ostdeutschland, zeigt eine Studie der Uni-Leipzig. Fast jede*r zweite stimmt der Aussage zu, "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden" – zehnt Prozentpunkte mehr als im Westen (43,3 zu 32,8).
Einige Forschende führen die Unterschiede auf den geringen Anteil an Muslim*innen in der Bevölkerung und fehlende Alltagsbegegnungen zurück.
Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung sieht Islamfeindlichkeit im Osten ähnlich stark verbreitet wie im Westen, allerdings sei die Bereitschaft für abwertendes Verhalten im Osten höher. Eine weitere Studie sieht einen Grund für die stärkere Abwertung von Muslimen in der Konkurrenz mit ihnen um Anerkennung, da sich Ostdeutsche oft als benachteiligte Gruppe wahrnähmen.
Exkurs: Islamismus im Osten
In den neuen Bundesländern umfasst die islamistische Szene etwa 1.400 Personen. 800 davon werden dem Salafismus zugeordnet, so eine Studie von 2024. Islamistische Akteur*innen seien lose vernetzt und würden vor allem versuchen, Einfluss zu nehmen auf strukturschwache Moscheegemeinden mit Finanzierungsproblemen. Zivilgesellschaftliche Prävention befindet sich erst im Aufbau und kann nicht auf langfristiges Erfahrungswissen aufbauen.
Die erste sichtbare Moschee in Ostdeutschland ist ein Schritt für mehr Sichtbarkeit von Muslim*innen in Ostdeutschland. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen - auch wenn sie noch immer nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung ausmachen. Die Proteste gegen die Moschee verliefen parallel zum Aufstieg der AfD. Inzwischen scheint das Thema aber an Zugkraft eingebüßt zu haben. Die Eröffnung verlief ohne Probleme. Die erste Moschee mit Minarett in Ostdeutschland konnte ohne Proteste eröffnen.